Erde, ich spüre dich ...
Ein paar Gedanken
Immer wieder taucht ein Satz aus fernen Kindertagen auf: „Erde ich spüre dich, leise berühr‘ ich dich. Dulde den Menschenfuß, spür meinen Liebesgruß“. Damals habe ich noch in der Erde gewühlt, Matsche zwischen den Zehen hervorquellen lassen und im Sand gebuddelt. Heute, als arbeitender Stadtmensch, sind die Möglichkeiten eingeschränkt. Das Leise-berühr-ich-dich findet eher im Urlaub statt: Barfußlaufen am Strand von Capri oder auf einer taufrischen Wiese in den Cevennen. Der Alltag dagegen ist geprägt von Beton, Asphalt und Schuhwerk. Unser Straßen- und Städtebau hat zu einer immensen Versiegelung von Boden geführt. Täglich werden in Deutschland rund 66 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Das entspricht etwa 94 Fußballfeldern!
Leicht nachvollziehbar also, dass der Wunsch nach Grün in der Stadt stetig steigt: So entsteht in München das Stadtbegrünungsprojekt von Green City e.V. oder das High-Line-Projekt in New York. Die Bedeutung von Grünzonen in den Großstädten wird zunehmend gesehen. In Tokio hat Pasona, das zweitgrößte Personalunternehmen Japans, ein Urban-Farming-Projekt mitten im Firmengebäude installiert. Im Foyer sprießt Reis und über mehrere Stockwerke hinweg wachsen 280 verschiedene Gemüsesorten. Gepflegt und geerntet werden sie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dafür ihre Arbeitszeit nutzen dürfen. Der Chef hat erkannt, dass es ihnen gut tut und sie besser arbeiten. Auch die Angestellten geben an, sich insgesamt wohler zu fühlen und das geerntete Gemüse wird in der hauseigenen Kantine verarbeitet.
Paris erlaubt seinen Bewohnern mitten in der Stadt zu gärtnern, spendet Blumenzwiebeln und Saatgut und organisiert Erde, wenn vor der Haustür die Baumscheiben gepflegt werden. Schließlich produzieren auch kleine Grünflächen Sauerstoff, reinigen die Luft, schlucken Lärm und helfen, das sommerliche Klima in der Stadt erträglich zu gestalten. Der Temperaturunterschied unter einem Baum kann gefühlte 15 Grad ausmachen, messen lassen sich 8 Grad.
Auch ich möchte mich wieder mehr mit der Erde verbinden. Manchmal gehe ich bewusst in einen Park gehen, lehne mich an einen Baum, versuche seine Kraft und Stärke zu spüren, lausche dabei den Vögeln und staune über das erste Grün – immerhin kommt es zuverlässig jedes Jahr wieder neu hervor.
Vor drei Jahren bin ich Mitglied in der Solidarischen Landwirtschaft Bodensee geworden. Dort kann ich wieder die Hände in die Erde stecken beim Säen und Pflanzen, beim Jäten von Kräuterbeeten und Spinatreihen, beim Ernten von Möhren und Kartoffeln. Ich spüre wieder die Erde, die uns nicht nur trägt, sondern auch nährt. Dort kann ich im Sommer barfuß laufen und das Gras unter meinen Füßen genießen. C.G. Jung hat einmal gesagt: “Wenn man barfuß geht, wie kann man da die Erde vergessen?“
In dem Film „Unser Erbe“ zeigt ein Bauer auf seinen Acker und sagt: „Ich wundere mich öfter mal, warum der Mensch in der Stadt so wenig Existenzängste hat … der ist ja absolut abhängig, dass hier was wächst“.
Genauso diese Abhängigkeit lerne ich wieder wahrzunehmen. Wenn die kleinen Pflänzchen auf Wasser warten, aber es nicht regnet und die Zisternen leer sind – so wie im Sommer 2018. Wir müssen uns wieder annähern an das Wesentliche im Leben – an die Lebenskraft direkt aus dem Boden. Wir können unsere Erde nicht länger ausschließlich als Ressourcenlieferanten oder Müllschlucker nutzen. Der Ausbeutungs- und Wegwerfmensch muss den Tunnelblick auf Rohstoffe und finanzielle Vorteile ablegen und wieder in Beziehung zum Boden treten: Sehen, beobachten, anfassen, spüren und staunen. Nur so kann er wieder Achtsamkeit, Ehrfurcht und Dankbarkeit üben.
Was du tun kannst. Ein paar eingesammelte Ideen:
„Ich arbeite in einem interkulturellen Gartenprojekt mit“
„Wir haben unseren Garten umgestaltet. Statt Liguster und anderes Dauergrün, wachsen nun Johannisbeeren und Himbeeren. Auch einen Holunder haben wir gepflanzt und an der Garage wächst nun Wein, den wir ernten können“
„Ich habe eine Ausbildung als Blühbotschafterin gemacht – jede Menge über Bienen und Schmetterlinge gelernt. Nun bin ich 72 Jahre und habe Zeit, mein Wissen weiterzutragen.“
„Mit der Erlaubnis meines Vermieters habe ich drei Hochbeete vor die Haustür gesetzt und eine essbare Hecke gepflanzt. Mir macht Urban Gardening viel Freude und ich sehe darin ein großes Potential, das wir noch gar nicht voll nutzen“
„Wir haben den Weltacker in Überlingen besucht – das war wirklich beeindruckend.“
„Ich habe auf meiner Terrasse Kartoffeltürme angelegt. Natürlich trägt das nicht viel zu meiner Ernährung bei, aber es ist schön, mit den Kindern das Wachsen zu beobachten und im Spätsommer die Kartoffeln zu ernten ... und das mitten in der Stadt auf einer winzigen Fläche.“
„Ich habe bei der Stadtverwaltung angefragt und die Baumscheibe vor unserem Haus aus der Pflege des Grünamtes nehmen lassen … Lavendel gepflanzt, einen Strauch gesetzt und allerlei Blumenzwiebeln gesteckt, sodass es im zeitigen Frühling schon richtig gut aussieht und die Bienen Futter finden.“
„Für derartige Projekte habe ich momentan überhaupt keine Zeit. Habe aber mal an einer Ackerführung bei der Solidarischen Landwirtschaft in Raderach teilgenommen, um wenigstens auf diese Weise wieder einen Bezug zu regionalen Lebensmitteln und dem Boden herzustellen. Mir war überhaupt nicht klar, dass ein Drittel der Tierwelt UNTER der Erde lebt. Das hat mich wirklich beeindruckt.“
„Wenn ich mir anschaue, was andere Großstädte machen, würde ich gerne ein Großprojekt starten …, nicht nur, um die Stadt zu begrünen, sondern auch mehr Lebensmittel direkt in der Stadt zu produzieren. Das war noch vor 150 Jahren die Normalität.“
„Wir haben vor Jahren angefangen, Bienen zu halten. Aber das ist eine Wissenschaft für sich. Man muss sich wirklich einarbeiten, damit man keine Krankheiten verbreitet.“