Der richtige Rucksack fürs Leben

Ein paar Gedanken

Hermann Hesse hat einmal gesagt: „Der Mensch ist ein Unterwegs“ – womit er durchaus recht hatte. Sind wir nicht ein Leben lang auf Achse, sei es, um eine Schulbildung zu erlangen, einen Job zu finden, einen Beruf auszuüben, sei es zu reisen, zu lernen, zu suchen – das Fremde, aber auch uns selbst?
Wer unterwegs ist, sollte immer – je nach Weg und Ziel – ein paar wesentliche Dingen dabei haben. Ich gebe es zu, ich bin Rucksacksammlerin: Der kleine schwarze ist für die Stadt – in ihn passt Portemonnaie und Handy, vielleicht noch Notizbuch und Stift – schließlich gehöre ich zur schreibenden Zunft. Der große blaue ist für längere Urlaubstouren; groß genug für Kleidung, Waschzeug, aber auch für ein kleines Zelt, für Schlafsack und Isomatte. Der grüne ist angenehmer – ist er doch kleiner und wird hervorgeholt, wenn das Zelt zuhause bleiben kann und oben auf dem Berg eine Hütte wartet. Dann gibt es noch den Rucksack fürs Büro mit Mappen und Büchern, Textmarkern und Stiften für das Whiteboard. Im Keller liegt zudem ein kleiner alter. Früher nutzte ich ihn, um das Gemüse vom Markt nach Hause zu tragen, doch seit ich bei der Solidarischen Landwirtschaft bin, ist er arbeitslos. Auch der Bürorucksack ist zurzeit arbeitslos, denn seit Monaten bin ich im Home Office. Dafür gibt es seit Anfang des Jahres einen Malerrucksack – gefüllt mit Zeichenstiften, Aquarellkasten und -papier, mit Sitzkissen und sogar einem Klappstühlchen. Schließlich male ich am liebsten draußen.
Doch egal, welchen ich nehme, immer stellt sich die Frage, was brauche ich wirklich? Was ist wesentlich für diese Wegstrecke, die da vor mir liegt, wesentlich für das Ziel, das ich erreichen will?
Auf meiner Tour durch die Cevennen, fand ich im Trappistenkloster Notre-Dames-des-Neiges ein Zitat von John Ruskin: „Ne tolère rien à côté de toi, qui ne te soit utile ou que tu trouves beau.“ (Erlaube nur das an deiner Seite, was nützlich für dich ist oder was du schön findest.)
Mit einer gewissen Reiseerfahrung lässt sich durchaus sagen, was nützlich ist – nicht unbedingt, was wesentlich ist. Noch schwieriger wird die Angelegenheit, wenn wir von dem tatsächlichen Rucksack übergehen zu einem eher sinnbildlichen Lebensrucksack. Was schleppen wir da nicht alles mit uns herum? Nicht nur schöne Erinnerungen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die wir unterwegs gut gebrauchen können, sondern alte Glaubenssätze, Groll und Neid, Schuldgefühle, vielleicht sogar Traumata. Die Forschung hat herausgefunden, dass wir sogar Kriegserlebnisse und Traumata unserer Eltern und Großeltern mit uns herumtragen – häufig unbewusst.
Doch auch wir packen der nächsten Generation statt einer gesunden und wertvollen Wegzehrung eine zusätzliche Last in den Lebensrucksack: die Sorge über mit Plastik gefüllte Meere, Angst vor den Gefahren des Atommülls, Fragen über Fragen zu humuslosen Böden, Klimaveränderungen, abgeholzten Regenwäldern… Würde irgendein normaler Mensch für eine mehrtägige Wanderung seinen Rucksack mit dem Inhalt seines Mülleimers füllen, eine halbvolle Erste-Hilfe-Tasche einpacken und einen löchrigen Regenmantel mitnehmen? Wir aber hinterlassen – insbesondere Politik und Wirtschaftswachstumswahn – einen immer größer werdenden Schlamassel, einen Sumpf, der das Ausmaß des brasilianischen Pantanals, dem größten Sumpfgebiet der Welt, übertrifft. Verrückterweise lodern selbst hier seit Jahren die schlimmsten Brände.
In dem Film „Pilgern auf Französisch“ ist eine Gruppe von Menschen auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Schnell merkt jeder einzelne, dass der Rucksack zu schwer ist und verabschiedet sich im Laufe des langen Weges von Dingen, die nicht mehr wesentlich erscheinen; zumeist werden sie einfach hinter einem Felsen oder am Wegesrand zurückgelassen. Doch mit den Dingen, die wir der nächsten Generation in den Lebensrucksack gepackt haben, ist das nicht so einfach. Wo lassen wir den Atommüll? Wie bauen wir wieder einen lebens-not-wendigen Humus oder Regenwald auf? Schließlich brauchen wir für die Zukunft eine außerordentlich gute Ausrüstung. Fachleute sprechen von Resilienz, von resilienten Menschen, resilienten Städten und Gemeinden. Resilienz, verstanden als die Fähigkeit, sich sowohl an kurzfristige Störungen als auch an langfristige Veränderungen anzupassen und dabei seine wesentliche Identität zu bewahren. Was also ist wesentlich für mich und meinen Lebensweg? Was gehört in meinen Lebensrucksack, was sollte ich lieber auspacken, ablegen, loslassen? Und was sollte ich einpacken, um gut gerüstet zu sein? So geht es wohl nicht nur um den richtigen Rucksack, sondern vor allem um seinen hilfreichen Inhalt.

Ein paar kleine Schreibimpulse für die Weihnachtsfeiertage, die deine Resilienz stärken können:

1. Schreibe alles auf, was dir unter dem Stichwort „ich kann“ und „ich habe“ einfällt. Denke dabei auch an scheinbar selbstverständliche Dinge oder Fähigkeiten (Ich kann sehen, laufen, Rad fahren – alles gar nicht so selbstverständlich, wenn man einen Blick über den Tellerrand wirft)
2. Schreibe dir ein „Sparbuch deines Lebens“: Liste alles auf, was an Ereignissen auf deinem Sparbuch eingezahlt wurde. Schreibe dabei konkret (Der traumhafte Sonnenuntergang vorgestern Abend, das gute Gespräch mit meiner Freundin xy, der warme Pulli, den Mutter mir gestrickt hat …) Übrigens, du kannst von diesem Sparbuch immer abheben, es wird nie weniger – im Gegenteil – und inflationssicher ist es auch
3. Falls du Lust hast, kannst du auch einmal dein Netzwerk anschauen. Hält es? Ist es gut gepflegt? Eine kleine Anleitung findest du hier