Climate Justice – Klimagerechtigkeit

Seit Woche nervt sie mich, diese innere Stimme, die mir zuruft: “Schreib doch endlich was!” Doch in mir sträubt sich alles. Wozu noch mehr schreiben? Wer soll das alles lesen? Welchen Sinn hat es, noch mehr Papier zu füllen mit Buchstaben, Worten, Sätzen und endlosen Gedanken? Sollten wir nicht viel mehr Bäume Pflanzen, endlich machbare Alternativen zum Automobil entwickeln, uns um Wirtschaftskrise, Energiekrise und Klimakrise kümmern?

Es ist Sonntagmittag. Ich sitze auf der Terrasse bei Freunden, die Sonne ist mild und gnädig, der Wind hat sich gelegt. Wir haben 180 Grad Aussicht auf den Bregenzerwald, all die herrlichen Berge und einen wunderbar lichtblauen Herbsthimmel. Vor uns stehen Teller mit frisch gesammelten und in Butter gebratenen Pilzen – Idylle pur. Wozu also Gedanken an die Klimakrise verschwenden? Einfach genießen. Fertig.

Doch der Hausherr erzählt vom letzten Winter, wie er mit seinen fast 70 Jahren auf den Hausgiebel geklettert ist, um diesen mühsam vom knapp zwei Meter hohen Schnee zu befreien. Angst hatte er, dass das ganze Haus einstürzt. Und nun? Nun hat es sich verzogen, ist nicht mehr stabil. Ein Architekt muss her, ein Zimmermann, um das Haus zu retten. Schreiben hilft auch hier nicht weiter.

Abends im Bett lese ist Mary Robinsons Buch “Climate Justice” - Klimagerechtigkeit. Lese von den Menschen, die sie kennengelernt hat: von Jannie Staffansson, deren Tante als nomadische Rentierhirtin im zu dünn gewordenen Eis eingebrochen und für immer verschwunden ist. Ich lese von Anote Tong, der für sein Volk bereits Land im Süden Indiens gekauft hat, weil sein gesamtes Reich am Untergehen ist. Ich lese von Ken Smith, der 35 Jahre in den Kohlenminen im Norden Kanadas geschuftet hat und dann von heute auf morgen mit seinen 3000 Kumpeln auf der Straße stand und nun von der Sozialhilfe leben muss.

Mary Robinson hat all diese Geschichten aufgeschrieben und vor die Vereinten Nationen getragen. Das war mühsam, denn zunächsts wollte niemand diese Geschichten hören. Doch als ehemalige Präsidentin von Irland und UN-Hochkommissarin für Menschenrechte  hat sie sich durchgesetzt. Vielleicht macht Schreiben ja doch Sinn in Zeiten von Klimawandel. Vielleicht, weil wir diesem Wandel mit unseren Geschichten ein menschliches Gesicht geben können.

 

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