Mit der Kraft des Windes
Auf was für ein Abenteuer hatte ich mich denn nun schon wieder eingelassen? Bei zweieinhalb Meter hohen Wellen stehe ich auf der Korriganez, einer alten holländischen Tjalk, Baujahr 1907. Knapp 20 Meter lang, kaum Tiefgang, zwei Seitenschwerter, 38 Tonnen schwer. Bis 1958 war sie als Lastensegler im Einsatz. Nun nimmt sie seit drei Jahren Gäste auf, die in aller Ruhe die Kanäle der Bretagne entlang schippern und die Zeit vergessen wollen. Wir aber sind mit ihr hinaus auf den Atlantik, um die Halbinsel Quiberon zu umsegeln und um in den Golfe du Morbihan zu gelangen.
Während ich mit dem Kameramann von France 3 einen Wettbewerb ausfechte – „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat das grünste Gesicht im ganzen Land!“ –, versuche ich der Reporterin zuzuhören. Früher transportierte die Korriganez Weizen und Kartoffeln, Holz und Torf auf holländischen und deutschen Kanälen. Heute gibt es stattdessen unter Deck einen langen Tisch mit Bänken für zehn bis zwölf Personen, ein kuscheliges Sofa, eine Küchenecke mit Backofen, Kaffeemaschine und Toaster. In den Regalen stehen zwei Dutzend Bücher, Land- und Seekarten, Gesellschaftsspiele. Zudem acht Kojen, ein Bad mit Badewanne, eine Toilette. Im Bug sogar eine Waschmaschine … Ob ich doch noch gleich die Fische füttere?
Gegen Abend machen wir in Port Navalo fest. Mein Magen hat sich beruhigt. Bei Sekt und kleinen Häppchen kann ich endlich wieder klar denken und mich auf die nächsten Tage freuen. Im Golfe du Morbihan werden 1400 Schiffe erwartet: Vom Dreimaster aus dem 18. Jahrhundert, über die traditionellen Langustenfänger, bis hin zu den vielen kleinen Voile-Avirons.
Im Gespräch über die Welt der Segelschiffe wird mir klar, dass die Geschichte der erneuerbaren Energie weit zurückreicht, die der ölbasierten aber erst ein paar Jahrzehnte alt ist. 1859 hat Edwin Laurentine Drake die 1. Erdölförderung auf amerikanischen Boden durchgeführt. Doch die Erdölgewinnung hat in relativ kurzer Zeit zu enormen Problemen geführt. Heute werden 90% alle Waren in den schier endlosen Mengen von Containern über die Weltmeere gefahren. Dabei emittieren die 15 größten Frachtschiffe, die mit Schweröl fahren, ebenso viel C02 wie ganz Deutschland. Am Tag laufen pro Frachter 100 000 Liter nicht erneuerbare Energie durch.
Doch es gibt sie wieder, die Windbegeisterten. Cornelius Bockermann hat in die Aventuur, ein Gaffelschoner Baujahr 1917, sein gesamtes Privatvermögen gesteckt und sie wieder flott gemacht. Unter dem Motto Cargo under Sail transportiert er nun mit seiner Mannschaft Rum, Kaffee, Kakao und Kardamom aus der Karibik nach Bremen. Auch der TeiKei-Kaffee kommt so über den Atlantik. Mission Zero nennen sie das – Transport ohne Emissionen. Doch es ist mühsam gegen die großen Konkurrenten anzukommen, die das Hundertfache an Ladekapazität haben. Und in Zeiten von Corona, in denen viele Häfen gar nicht erst angelaufen werden dürfen, wird es noch schwieriger.
Die Tres Hombres ist ein weiterer Versuch, das Frachtensegeln attraktiv und vor allem lukrativ zu machen. Sie ist ein Hybrid-Segler, der viel Treibstoff einsparen kann – auch durch hochmoderne Routing-Software, die Daten über Wind und Wellen, aber auch über Strömungen liefert und so den optimalen Kurs in Echtzeit errechnet. Da kann der Kapitän durchaus 17 Stunden Reisezeit einsparen und vor allem genaue Ankunftszeiten für die Ware nicht nur versprechen, sondern auch einhalten. Wiederum andere experimentieren mit 1000 quadratmetergroßen Kites, die 20% Treibstoff einsparen. Bei oben genannten Frachtern wären das immerhin 20 000 Liter Schweröl – pro Tag und Schiff!
Nach der stürmischen Fahrt am ersten Tag, genieße ich morgens nun bizarre Nebelformationen, mittags Sonnenschein, ab und zu Flaute oder auch eine herrliche Brise – und vor allem das leise Unterwegssein. Täglich unterhalte ich mich mit Yann, der für Volée de Piafs, einer Rettungsstation für Seevögel und Meeressäuger arbeitet. Claude, seine Mutter, kann sich noch gut an die Ölkatastrophe der Amoco Cadiz im Jahr 1978 erinnern. Damals liefen 223.000 Tonnen (!) Rohöl aus und verseuchten 360 km bretonische Küste. Unzählige Seevögel und Muscheln starben. Tausende Helfer waren monatelang damit beschäftigt, die klebrige Masse von Stränden und Felsen zu holen. Auf der Korriganez sind wir uns einig: Frachtensegeln ist ökologisch, und es hat Zukunft. Man muss es nur wollen.
Am Abend machen wir in Port Anna fest. Vom Ufer her weht uns der Wind bereits den Rhythmus der bretonische Musik in die Füße und den Duft von Fischsuppe und süßen Crêpes in die Nase.
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