Handwerkliches Können oder die Kultur der Reparatur

Ein paar Gedanken

Für eine Beerdigung suche ich ein schwarze T-Shirt. Nach den ersten beiden, die mir nicht passen, reicht mir die Verkäuferin ein drittes in die Umkleidekabine. Ich ziehe es an; es passt. Doch als ich in den Spiegel schaue, bin ich entsetzt. Um den Halsausschnitt zeigen sich endlose Fransen eines schlecht gearbeiteten Saumes. Daher ziehe ich es aus und reiche es der Verkäuferin zurück: „Es passt, doch ich nehme es nicht.“ Auf den fragenden Blick der Verkäuferin antworte ich: „So etwas hätte mir meine Handarbeitslehrerin um die Ohren geschlagen!“
Das ist natürlich gelogen, denn ich hatte eine nette Handarbeitslehrerin. Aber wir paukten am Gymnasium nicht nur Lateinvokabeln, wir hatten auch Handarbeits- und Werkunterricht und waren stolz auf unsere selbstgenähten und -geschreinerten Werkstücke. Doch heute werden wir abgespeist mit minderwertigen Produkten, für die wir teures Geld bezahlen sollen. Das ist keine Kritik an den Näherinnen, die sich in Fernost die Finger wund und den Rücken krumm nähen für ein paar Dollar in der Woche, sondern an einem System, das bewusst Ressourcen und Menschen ausbeutet, um möglichst viel Gewinn zu machen.

Vor einer Woche war zuhause die elektrische Zahnbürste kaputt. Öffnen konnte man sie nicht, um nachzusehen, woran es liegt. Die Empfehlung des Kundendienstes: wegwerfen und neu kaufen. Doch an meiner Seite wohnt ein echter Tüftler: Nach zehn Minuten hatte er das Teil geöffnet, sah, dass eine Kontaktstelle zum Akku defekt war. Er holte den Lötkolben und reparierte das Ganze in fünf Minuten. 120 Euro gespart! Rechnet man das als Stundenlohn hoch, sind das 480 Euro netto. Wo verdient man die sonst so schnell? Doch es braucht Wissen, Erfahrung, Zeit und manchmal eben auch Geduld.

Inzwischen sind die Themen in aller Munde: Ressourcen schon, Recht auf Reparierbarkeit der Produkte, Abschaffung der sogenannten Obsoleszenz, dem systematischen Einbauen von Schwachstellen seitens der Industrie …

Professor Heckl, Leiter des Deutschen Museums und ein leidenschaftlicher Tüftler, weist darauf hin, dass in der Natur schon seit Urzeiten das Prinzip der Reparatur angelegt ist. Jeder kenne das, wenn er schon einmal beobachtet habe, wie eine Schnittwunde langsam wieder heilt. Sein Buch „Die Kultur der Reparatur“ liest sich spannend: Er führt unter anderem ein Reparaturtagebuch und schreibt auf, was er wann wie repariert und gerettet hat. Deutlich wird auch, wer etwas reparieren will, muss sich mit dem Innenleben von Geräten und ihrer Funktionsweise auseinandersetzen, muss technisches und handwerkliches Können lernen. Doch wo geschieht das heute? In welchen Schulen gibt es Unterricht in Werken, Handarbeiten, Gartenbau? In welchen Elternhäusern können Kinder mitarbeiten, sehen sie Eltern, die etwas reparieren, eine Mahlzeit kochen, einen Socken stopfen, einen Fahrradschlauch flicken?

Doch es tut sich was...

Hamburg war die erste deutsche Stadt, die ein FabLab eingerichtet hat, ein Fabriklabor, auch MakerSpace genannt. Das ist eine Werkstatt, die auch von Privatpersonen genutzt werden kann und eine entsprechende Ausstattung mit Werkzeugen und Maschinen bietet. Zumeist auch mit Einweisung und Unterstützung. Das Netz ist voll von Videos, mit deren Hilfe sich die Menschen wieder Fähigkeiten aneignen können, wie zum Beispiel für die Herstellung von Salben und Cremes, wie man gekonnt eine Ferse strickt oder ein Hochbeet baut. Es kursieren Open-Source-Pläne zum Eigenbau von Möbeln und viele Städte und Gemeinden haben mittlerweile ein Reparatur-Café.

Auch das Kintsugi, die uralte Reparaturkunst aus Japan wird gerade wieder neu entdeckt. Warum nicht die kaputtgegangene Lieblingstasse kunstvoll kitten und weiter nutzen. Julia Rothhaas schreibt in der Süddeutschen: „Dafür werden die zersprungenen Teile wieder in ihre ursprüngliche Form zusammengesetzt – die Bruchstellen bleiben allerdings sichtbar. Eine bewusste Entscheidung: Der Riss wird zu einem wichtigen Teil des Objekts, er ist Teil seiner Geschichte. Nicht Abfall, sondern Glücksfall."

Zudem geht es nicht nur um das Sparen von Ressourcen oder von Geld; es geht auch um einen Akt der Selbstermächtigung.

Du kannst dich fragen:
  • Mit welchen Werkzeugen kann ich umgehen (Bohrmaschine, Nähmaschine, Kreissäge, Stricknadeln …)
  • Welche handwerklichen Fähigkeiten habe ich? Welche möchte ich gerne lernen oder ausbauen?
  • Was habe ich eigentlich schon alles in meinem Leben hergestellt und repariert? Kann ich darauf irgendwie aufbauen?
  • Kann ich von Freunden, Eltern, Großeltern lernen oder umgekehrt auch mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben?
  • Mit wem kann ich mich zusammentun? Hier kannst du eine Netzwerkanalyse machen …
  • Kenne ich ein Reparatur-Café oder ein FabLab in meiner Nähe?

 

Zum Weiterlernen:

ToolBox Bodensee e.V. https://toolbox-bodensee.de/

Open Source zum Möbelbau https://www.tech.de/news/moebel-als-open-source-1002473.html

https://www.opendesk.cc/

Salbenküchenkurs https://heilkraeuter.de/salben-kurs/index.htm

Selbermachen rund um Haushalt, Garten und Balkon https://www.smarticular.net/

Zum Weiterlesen:

Baier, Andrea; Hansing, Tom; Müller, Christa; Werner, Karin (Hg.) (2016): Die Welt reparieren. Open Source und Selbstmachen als postkapitalistische Praxis. Bielefeld: Transcript Verlag.

Heckl, Wolfgang (2015). Die Kultur der Reparatur. Goldmann Verlag.