Voller Vorfreude habe ich mich ans Lesen von „Lokal ist unsere Zukunft“ von Helena Norberg-Hodge gemacht in der Hoffnung, viele inspirierende Ideen für lokale Projekte aus aller Welt vorzufinden. Schnell musste ich erkennen, dass in dem Buch viel mehr steckt als nur eine Sammlung von Lösungen. Der Untertitel „Schritte zu einer Ökonomie des Glücks“ lässt ahnen, dass es auch um unser Wirtschaftssystem im Großen und Ganzen geht. Da mein Fokus eher auf dem konkreten Tun vor Ort liegt, haben mich die Kapitel, in denen es tief in die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik hineingeht, ziemlich gefordert.
Doch ich habe mich dieser Herausfoderung gestellt und auch diese Kapitel gelesen. Es hat sich gelohnt, mich in diese Perspektive tiefer hineinzudenken. Zwar waren mir bereits vorher im Groben die Zusammenhänge bewusst, aber es war aufrüttelnd, durch die kurz und knapp gehaltenen konkreten Beschreibungen, die kaum fassbaren Ausmaße und Auswirkungen des aktuellen Systems zu begreifen. Dem menschengemachten Wahnsinn so tief ins Auge zu sehen, habe ich bisher vermieden, um mich nicht ohnmächtig und handlungsunfähig zu erleben.
Helena Norberg-Hodge beschreibt die Globalisierung wie Frankensteins Monster als „eine außer Kontrolle geratene, von Menschenhand gemachte Schöpfung“. (S.25)
Sie macht dies mit eindrücklichen Beispielen deutlich: Im Zeitalter der vollständigen Globalisierung ist das, was „wirtschaftlich“ ist, absurd geworden. Hunderttausende Tonnen Heu, das auf bewässerten Flächen im dürregeplagten Südkalifornien produziert wurde, werden nach China verschifft. England und Australien tauschten kürzlich 20 Tonnen Wasser in Flaschen aus, nur untereinander. (S.9) Kabeljau aus Norwegen wird in China zu Filets verarbeitet, die dann zum Verkauf wieder nach Norwegen geschickt werden. (S. 23)
Sie beschreibt diese Art des Handelns als überflüssig, irrsinnig und typisch für die Funktionsweise der globalen Wirtschaft. Letztlich geht es ausschließlich um die Maximierung von Gewinnen (S.34), wobei diese unnötigen Transporte enorme Mengen an Emmissionen produzieren, die in keiner nationalen Kohlenstoffbilanz auftauchen. Laut einer IWF-Studie belaufen sich die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe auf schwindelerregende 5.3 Billionen Dollar pro Jahr – das entspricht zehn Millionen Dollar pro Minute. Das führt beispielsweise dazu, dass in Spanien der aus China importierte Knoblauch nur halb so viel kostet wie der vor Ort angebaute Knoblauch. (S.112) Zudem ergab eine Studie von 2013, dass „nur 90 Unternehmen für die Gewinnung der meisten fossilen Brennstoffe verantwortlich sind, die in den letzten 150 Jahren verbrannt wurden“ (S.113)
Vor diesen Hintergründen ziehe ich die Schlussfolgerung, dass alle durchaus sinnvollen Bemühungen eines jeden Einzeln, Ressourcen zu sparen, niemals ausreichen werden, um die Erde vor dem Kollaps zu bewahren, wenn dieser Wahnsinn im Großen weitergeht. Der alltägliche Verbrauch von Ressourcen im Privaten fällt im Vergleich zur Ressourcenverschwendung von Konzernen kaum ins Gewicht – und dies soll keine Einladung zur Verschwendung im Privaten sein.
Es braucht meinem Empfinden nach dringend eine Wertschätzung der vorhandenen Ressourcen und ein Bewusstsein über die Grenzen dessen, was unsere Erde aushält.
Das befürchtete Ohnmachtsgefühl bei der Konfrontation mit dem Zustand der Welt, ist bei mir ausgeblieben. Es hat meinen dringenden Wunsch aktiv zu werden und zu handeln, lokale Projekte auf den Weg und voranzubringen verstärkt. Die vielen Beispiele aus der ganzen Welt, haben mir gezeigt, was alles möglich wird, wenn Menschen sich regional zusammentun.
Was es für einen Wandel braucht, beschreibt Helena Norberg-Hodge so:
Die Menschen sind sich bewusst, dass etwas grundlegend falsch läuft und dass ein Herumbasteln am derzeitigen System keine Lösung ist. Was wir jetzt brauchen, ist eine kritische Masse mit einem klaren Verständnis für die Ursachen der Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, und für Lösungen, die sinnvoll sind. (S. 127)
Wenn die Menschen erst einmal aufwachen und begreifen, dass ein und dieselbe Wirtschaftspolitik die treibende Kraft hinter allem ist – von unsicheren Arbeitsplätzen und Armut bis hin zum Klimachaos und Aufstieg des Extremismus –, können wir über isolierte Kampagnen zu einzelnen Themen hinausgehen und Bewegungen aufbauen, die groß und widerstandsfähig genug sind, um von den globalen Monopolen die demokratische Macht zurückzuerobern. (S. 128)
Wir können uns darauf konzentrieren, das »Ich« in ein »Wir« zu verwandeln, indem wir uns auf der Ebene der Gemeinschaft wie auch auf der politischen Ebene zusammenfinden. Der Weg nach vorne liegt nicht in Wut und Konfrontation, sondern in der aktiven Förderung eines friedlichen, breit angelegten, systemischen Wandels. (S. 135)
Dieser Sichtweise der Autorin kann ich mich nur anschließen. Daher gehört dieses Buch zur „Pflichtlektüre“ für alle jungen und auch älteren Menschen, die sich dafür einsetzen, dass sie eine Zukunft in einer lebenswerten Welt haben. Außerdem wünsche ich mir, dass alle in der kommunalen Politik, den Gemeinden und Städten tätigen Menschen dieses Buch lesen. Der Wandel, den die Welt so dringend braucht, geht von den Menschen vor Ort aus.
Link zum Buch:
https://shop.neueerde.de/Neuerscheinungen/Lokal-ist-unsere-Zukunft.html
Weitere Info:
Der World Localization Day 2022 – Das Event zum Buch
Im Juni 2022 kommen zum dritten Mal in Folge Menschen auf der ganzen Welt
zusammen, um die weltweite Lokalisierungsbewegung zu feiern und die vielen Initiativen
zu würdigen, die eine ökologische Wirtschaft, blühende Gemeinschaften und gesunde
lokale Lebensmittelsysteme fördern.
Der Weltlokalisierungstag am 21. Juni feiert diese weltweite Bewegung – nicht nur am
Tag selbst, sondern während des gesamten Monats Juni. Zusammen mit 50
Partnerorganisationen in über 25 Ländern sind zahlreiche Events geplant, darunter
Webinare, Online-Konferenzen, Märkte mit lokalen und regionalen Produkten, Local Food
Feste, Saatgutbörsen und vieles mehr.