Die Corona-Folgen werden momentan aus jeder Richtung intensiv beleuchtet und bewertet, dem lässt sich fast nichts Neues mehr hinzufügen. Aber das ORF hat es tatsächlich geschafft, mich mit einem außergewöhnlichen Beitrag wach zu rütteln.
https://orf.at/stories/3162751/?fbclid=IwAR2n_Po4_XFAaBoGhIjmn1gqpbzoKE6Tk33XcAuVo0Yw34pm9Xz1ldh0ZPk
Auch die "Bestäubungsindustrie" mit Honigbienen ist ein Teil des globalen Wirtschaftshandels, und der findet anscheinend in viel größerem Ausmaß statt, als mir das bisher bewusst war.
Im Artikel geht es um die globale "Bestäubungsindustrie", die vor allem in den USA und in China praktiziert wird, indem abertausende von Bienenvölkern mit LKW und Flugzeug über weite Strecken transportiert werden. Das scheint auch schon in kleinerem Umfang in der EU praktiziert zu werden.
Schon im Film "More than Honey" (sehr empfehlenswert!) wurden typische Szenen aus Kaliforniens Mandelplantagen gezeigt. Mit dem LKW angelieferte Honigbienen-Völker werden in der endlose Weite der Mandel-Monokulturen als Bestäuber aufgestellt. Sie arbeiten auch äußerst fleißig, wie man das von den Bienen gewöhnt ist. Und danach? Da werden sie nicht mehr gebraucht, sind also im wirtschaftlichen Sinne "nutzlos" - für nächstes Jahr werden neue Bienen bestellt. Die Plantagenbesitzer spritzen einfach über Bienenstöcke und fliegende Bienen hinweg. Dass anschließend alles tot ist, ist kein Problem. Den Honig zu ernten ist aus gesundheitlichen Gründen sowieso nicht ratsam.
Und nun, ausgerechnet im Rahmen der Corona-Krise könnte sich das rächen. Weil die neuen Bienen nicht rechtzeitig zur Blüte ankommen .
Konkret heißt es zur Lage in den USA: „Ein Drittel unserer Nahrung hängt von der Bestäubung der (transportierten) Bienen ab. Diese Ernte kann betroffen sein“. Eine Umschreibung von: Die kommende Ernte wird wohl ziemlich schlecht ausfallen. In den USA geht es dabei um Nahrung im Wert von rund 15 Milliarden Dollar (13,8 Mrd. Euro) pro Jahr wie Beeren, Melonen, Brokkoli und Mandeln. Manches davon wird auch nach Deutschland exportiert.
Ein Aspekt mehr, der den Wahnsinn und die Anfälligkeit, ja die ganze Kurzsicht der weltweiten Agrar-Industrie aufzeigt, die leider in der EU ebenso praktiziert wird wie in den USA.
Es wird viel produziert, das stimmt, doch das auf Kosten der Umwelt und der langfristigen Ertragssicherheit. Die Böden werden nachhaltig zerstört für den schnellen Gewinn, die natürlich vorkommenden bestäubenden Insekten werden großflächig ausgerottet durch Monokulturen und Insektizide. Bisher konnte das durch den arbeits- und ressourcenaufwendigen Einsatz der Honigbienenvölker aufgefangen werden, nun gibt es erste Probleme damit. Und lässt uns ahnen, dass nicht immer alles so unbeschadet weiterlaufen könnte wie bisher.
Einem umfassenden Weltbericht zufolge lässt die Menschheit die Natur in rasendem Tempo von der Erde verschwinden. Dafür gebe es inzwischen überwältigende Beweise, die ein unheilvolles Bild zeichneten, warnte der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), Robert Watson. "Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität." Die Weltgemeinschaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen, hieß es.
Aus <https://www.zdf.de/nachrichten/heute/weltbericht-menschheit-tilgt-die-natur-von-der-erde-100.html>
Um nun den Bogen zurück zu uns zu spannen: Selbstverständlich sind wir von der amerikanischen Art der Industrie-Landwirtschaft noch weit entfernt. Zumindest hier im kleinräumigen Süden, in anderen Teilen Deutschlands soll das schon anders aussehen …. Doch auch hier ist der Wandel längst eingeleitet.
Mein Mann ist Imker und wird jedes Jahr auf`s Neue darum gebeten, während der Blütezeit Bienenvölker in Obstanlagen aufzustellen. Danach muss er sie sowieso wieder holen, sie sollen ja nicht verhungern in den akkurat gemähten Anlagen, in denen Wildkräuter nicht gerade üppig blühen dürfen. Er setzt als Imker inzwischen lieber auf die Anlage und Pflege einer eigenen Blumenwiese, damit das Überleben der Völker sichergestellt ist. Denn Tatsache ist: ab Juni verhungern die Bienen in der freien Landschaft .
Honigbienen sind noch gut dran, die werden vom Imker gefüttert. Den Wildbienen wird ein Überleben schwer gemacht.
Die Hummeln, die auch als Volk überleben sollten, sind die großen Verlierer.
Und dabei sind die Hummeln die "noch besseren Bienen". Sie arbeiten unwahrscheinlich effektiv und fliegen schon früh morgens, wenn Honigbienen noch gar nicht unterwegs sind und auch noch spät abends. Und sogar bei schlechtem Wetter sind sie fleißig an der Arbeit, das hat bisher in manch einem verregnetem Frühjahr noch die Obst-Ernte gerettet. Und das völlig umsonst! Solche natürlichen Rettungsanker der Natur fallen immer mehr weg, je mehr man großflächig auf industrielle Landwirtschaft setzt.
Die Lösung kann nur heißen: Leben und leben lassen!
Und darum ist es unwahrscheinlich wichtig, dass nun hier in Baden-Württemberg an einer "anderen" Landwirtschaft gebastelt wird, auch wenn das unheimlich mühsam erscheint für alle Beteiligten. Dass die Landesregierung sich mit Landwirten und Naturschützern an einem Tisch zusammen setzt, denn diese haben sich nun lange genug befeindet, wie die grünen Kreuze in der Landschaft zeugen. Es wird und wurde mit Sicherheit viel gestritten und intensiv darum gerungen, um eine gemeinsame Linie darüber zu finden, wie es bei uns weiter gehen kann.
Man kann das Ergebnis mitverfolgen: Es gibt das Eckpunktepapier und den daraus entwickelten Gesetzesentwurf, der momentan weiter überarbeitet wird.
Es ist der einzige Weg der uns bleibt, wenn wir nicht den Kopf in den Sand stecken wollen angesichts der drohenden Zuspitzung der Lage durch Klimawandel, Flächenfraß und vielen anderen Problemen, wie nun eben Corona. Und ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird und dann hoffentlich Schule macht.
Denn noch gibt es Sie bei uns, die Hummeln und die Wildbienen, die ganz unspektakulär von alleine kommen und bestäuben. Man muss Ihnen nur eine Überlebenschance einräumen. Blühende Pflanzen über die Vegetationsperiode hinweg und weniger "Sauberkeitswahn", dem alle Nistmöglichkeiten zum Opfer fallen. In meinem Natur-Garten, den ich seit Jahren Wildbienengerecht optimiere, erlebe ich jedes Jahr den zeitlichen Ablauf des Wildbienenkalenders. Spätestens im März schlüpfen die ersten Sand- und Mauerbienen und sammeln eifrig an Weiden und Frühblühern Pollen für den Nachwuchs. Dann kommen die Pelzbienen und die Langhornbienen, die Wollbienen und noch viele Andere, bis dann die Seidenbienen den herbstlichen Abschluß bilden. Die Hummeln sind sowieso die ganze Zeit über da.
Und während ich das beobachte merke ich: Das ist es, was für mich Reichtum und Sicherheit bedeutet!
Das Wissen um den Fortbestand an Vielfalt, der uns auch Krisen unbeschadet überstehen lässt. Der uns unabhängiger von Unvorhergesehenem macht. Und uns ermöglicht das zu bekommen, was wirklich das Allerwichtigste ist: die tägliche Nahrung für diese und auch für weitere Generationen.