Buchvorstellung: Wahre Wirtschaft – Von der Geldgier zu einer Ökonomie der Fürsorge

Lies dieses Buch!
Gerne würde ich jedem das Buch von Vandana Shiva „Wahre Wirtschaft. Von der Geldgier zu einer Ökonomie der Fürsorge“ in die Hände geben. Warum? Drei kurze Aussagen verdeutlichen die Dringlichkeit:

  • „Unsere Menschlichkeit und unsere Autonomie sind in Gefahr“. (S. 85)
  • Auch der Mensch ist eine vom Aussterben bedrohte Art.
  • „Wir schlafwandeln auf den Rand einer Klippe zu.“ (Mike Barrett, S. 96)

Auf knapp 300 Seiten macht Vandana Shiva zunächst das Ausmaß der „Wirtschaft der Gier“ deutlich. Diese Wirtschaft, die sie auch als Dys-Wirtschaft bezeichnet, ist geprägt von Monokulturen, Landraub, Nahrung aus dem Labor, Gen-Technik, Spekulation mit Lebensmitteln und massivem Extraktivismus (Ausschlachtung von Ressourcen).

Sie beschreibt, wie diese Form der wirtschaftlichen Gier bereits vor 500 Jahren mit der Aussendung von Christoph Kolumbus und Vasco da Gama begann und mit den Erlassen von Päpsten oder der Gründung der East-Indian-Company immer mehr etabliert wurde. Mit dem mechanistisch-reduktionistischen Weltbild eines René Descartes, das alle Lebewesen – auch den Menschen – als eine Maschine betrachtet oder eines Francis Bacon, für den Wissen kein Mittel der Wahrheitssuche war, sondern ein Mittel zur Eroberung (S. 70), fand diese Form der wirtschaftlichen Gier eine „wissenschaftliche“ Grundlage. Diese Zusammenhänge und das Ausmaß der Auswirkungen auf unsere Lebengrundlage werden in diesem Buch klar dargestellt.

Dieser zerstörenden Art des Wirtschaftens stellt sie eine andere Sichtweise entgegen. Sie beruht unter anderem auf James Lovelocks „Gaia-Hypothe“ (Die Erde ist lebendig), auf den Arbeiten von Humberto Maturana und Francisco Varela über selbstorganisierte komplexe Systeme sowie auf dem alten Wissen der indigenen Völker. „In der Natur gibt es keine Verschwendung, keine Verschmutzung, keinen Mangel, keine Extraktion. Die Natur entwickelt sich durch Zyklen des Gebens. Dies ist die Ökonomie der Nachhaltigkeit.“ (S. 193) Diese Ökonomie ist geprägt von Vielfalt, Dezentralisierung, Demokratie, Ko-Kreativität und Ko-Produktion, von Solidarität sowie von Fürsorge und Pflege des Landes, das uns letztlich nur geschenkt ist.  (S. 213) Wie ein Bogen spannt sich das Zitat von Mahatma Gandhi über diese Gedanken: „Die Erde hat genug für die Bedürfnisse aller, aber nicht genug für die Gier einiger weniger.“ (S. 183)

Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen, weil es nicht nur die historischen und aktuellen Zusammenhänge deutlich macht, sondern auch, weil es zeigt, warum unsere Zeit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen massiv geprägt ist. Trotz der dargestellten Komplexität ist es gut lesbar; Fachbegriffe werden verständlich erklärt und eine Vergleichstabelle schafft noch einmal Überblick über die unterschiedlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweisen. Aber lesen ist nur der erste Schritt. Vandana Shiva schreibt:

„Wir können uns entweder für eine Zukunft entscheiden, die die Gewalt der industriellen Nahrungsmittelsysteme der Konzerne gegen Landwirte, Tiere und Pflanzen stärkt, indem wir uns an der Vision der Konzerne von einer Landwirtschaft ohne Landwirte, ohne Tiere und ohne biologische Vielfalt beteiligen, die künstliche Nahrungsmittel produziert, die die Profite steigern, aber die Gesundheit des Planeten und der Menschen zerstören. Oder wir können uns für eine gewaltfreie Zukunft entscheiden, die auf Koproduktion und Erddemokratie beruht: gewaltfrei mit allen Lebewesen leben und ihr Recht auf ein gewaltfreies Leben anerkennen. Anderen Lebewesen das Recht auf Leben zu verweigern und andere Arte und Menschen als entbehrlich zu behandeln, ist die höchste Form von Gewalt.“ (S. 210)

„Die Menschheit muss sich dafür entscheiden am Leben zu bleiben, indem sie sich um das gemeinsame Zuhause, die Erde, und umeinander kümmert, den Planeten regeneriert und dadurch die Saat für unsere gemeinsame Zukunft sät.“ (S. 179)

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt Robin Wall Kimmerer, Professorin für Botanik in Syracuse, (New York), die seit vielen Jahren ihre naturwissenschaftliche Ausbildung durch ihre Forschungen über indigenes Wissen weitet und vertieft: „Zu wissen, dass man die Erde liebt, verändert einen, veranlasst einen, sie zu verteidigen, zu schützen und zu feiern. Aber wenn man spürt, dass die Erde einen im Gegenzug liebt, verwandelt dieses Gefühl die Beziehung von einer Einbahnstraße in ein heiliges Band.“ (S. 232f)

 

Hier geht’s zum Buch: Shiva, Vandana (2022): Wahre Wirtschaft. Von der Geldgier zu einer Ökonomie der Fürsorge. Die Wirtschaftsrevolution zur Regeneration des Planeten, unseres Lebens und unserer gemeinsamen Zukunft. Saarbrücken: Neue Erde.