Brückenbauen

Ich beschäftige mich nun schon seit längerem mit dem Spaltpilz, den Corona in unsere Bewegungen und Gruppen, ja bis in die Familien hinein trägt. Es gibt kaum einen Tisch (in unserer Szene), an dem nicht gestritten und gespalten wird.

Ich hatte mich schon im April klar positioniert und „das Virus für gefährlich und die Maßnahmen für gerechtfertigt“ erklärt, einfach, weil ich so empfinde. Damals gab es auch kaum Widerspruch. Erst nach dem Lockdown wurde mit den Lockerungen der Protest lauter. Und führte prompt zu einem ersten Streit.

Ich für meinen Teil denke, dass ich klar Stellung beziehen muss mit meiner Meinung und gegen die Meinungen, die uns heute in einer Diktatur mit Zensur wähnen, die Pressefreiheit angreifen oder von Manipulation und Suggestion sprechen.

Und doch ist ja an allem was dran: Die Maßnahmen, die tatsächlich mehr Bürgerbeteiligung vertragen, werden zunehmend absurder und widersprüchlicher, viele Beiträge in der Presse sind tatsächlich nicht auszuhalten, gerade auch in der taz.

So mische ich mich ein. Und es geht um Verstehen und ein menschliches soziales Miteinander. Etliche Corona-Rebellen beanspruchen die Wahrheit und die Fakten für sich, andere Meinungen und andere Fakten werden zu Manipulationen und es gibt gegenseitige Beleidigungen.

Martin Kirchner von den Pioneers of Change meint dazu: „Was beide Seiten gemeinsam zu haben scheinen, ist das große Unverständnis für „die andere Seite“ und eine gegenseitige Abwertung und Schubladisierung, basierend auf „absoluten Urteilen“.

Beide Seiten tendieren zu einfachen Antworten in einer komplexen Gesamtlage und übergehen dabei oft die Anliegen der anderen Seite. Der Mangel an Empathie wirkt dabei wie eine Form von Gewalt eskalierend. Die Herzen und das Denken scheinen sich zu verschließen gegenüber den jeweils anderen.“ (blogbeitrag: https://pioneersofchange.org/bruecken-bauen)

Ich möchte seinen Blogbeitrag empfehlen, indem er versucht Brücken zu bauen. Ein kurzer spannenden Video-Ausschnitt vom Summit 2019 mit Vivian Dittmar hilft mir auch: „Wir sind gefordert, in uns aufzuräumen, vor der eigenen Türe zu kehren und unsere Haltung zu reflektieren“, sagt Vivian. Es ist wichtig, unserer eigenen Absolutheitsansprüche gewahr zu werden, zu erkennen, wo wir selbst ein „closed mind“ haben.

Einen weiteren Hinweis, der mir hilft zum Brückenbauen beizutragen, fand ich Pema Chödrön, einer buddhistischen Nonne und Meditationslehrerin: „Die Natur der Wirklichkeit ist völlig paradox. Sie ist weder dies noch das, aber wir denken auf jeden Fall in Gegensätzen oder polaren Ansichten. Wir legen die Dinge mit unserem Geist fest, weil sich daraus Sicherheit ergibt. Wir versuchen Boden unter die Füße zu bekommen, indem wir sagen: „Die Dinge sind genau so.“ Zum Äußersten getrieben, wird dies zu Fundamentalismus, was bedeutet, daß Sie an einer Überzeugung festhalten und für diese in den Krieg ziehen würden.“ (Pema Chödrön, Meditieren, 2013, Seite 188)
Pflegen wir die Empathie, das Verstehen-Wollen, das Nicht-Wissen auszuhalten und durch das gemeinsame Tun die Kreativität in uns selbst freizusetzen.

Und doch möchte ich mich abgrenzen von Reichsbürgern, Antisemiten, AFDlern, Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretikern, Coronaleugnern und Impfgegnern. Gerne diskutiere ich aber mit allen anderen, mit Kritikern der Verhältnismäßigkeit der Coronamaßnahmen oder Befürwortern einer freien Impfentscheidung, mit besorgten Menschen wegen Corona oder wegen den Maßnahmen.

Zu bedenken möchte ich noch geben, dass es auch Menschen gibt, denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen, und deren Angst, Vorsicht oder Sorge sollte genauso Anlass zum Gespräch sein.

Suchen wir das Gespräch, ohne die jeweiligen Wahrheiten und Fakten, ohne Rechthabenwollen – sondern mit Respekt und Achtung vor dem Anderen, mit aktivem Zuhören und Verstehenwollen und dem gemeinsamen Willen zu schauen, was die Zukunft will.

Dieter Koschek